„Wenn’s vorn und hinten nicht mehr reicht…“

Aktionstage gegen Frauenarmut in Kärnten am 6. und 10. Dezember 2014

06. 12. 2014

„Ich muss sagen, ich stimme Ihnen in allem zu, was Sie fordern….“

Die Aktivistinnen des Aktionstages gegen Frauenarmut bekamen viel Unterstützung von Passantinnen und Passanten. Am Samstag, 6. Dezember informierte das Kärntner Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung gemeinsam mit Belladonna F...

09. 12. 2014

Frauen werden im österreichischen Sozialsystem strukturell diskriminiert!

Jede 7. Kärntnerin ist von Armut betroffen. Die Zahlen steigen kontinuierlich seit den letzten Jahren und es ist keine Verbesserung in Sicht. Das Kärntner Netzwerk gegen Armut und soziale A...

„Wenn ich die Miete und alle anderen Fixkosten gezahlt habe, stehen mir und meinem Sohn monatlich noch 70 Euro zur Verfügung.“ Petra S*. ist alleinerziehende Mutter und ist Büroangestellte. Ihr Einkommen reicht gerade für das Nötigste. Zusätzliche Ausgaben wie Klassenfahrten oder neue Kleidung für sich und ihren Sohn kann sie kaum bezahlen.

Jede 7. Kärntnerin ist von Armut betroffen

Die derzeitigen Tendenzen im sozialpolitischen Bereich deuten nicht daraufhin, dass Verbesserungen für die prekäre Lage vieler Frauen zu erwarten sind. Das Kärntner Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung befürchtet, dass die Zahl derer, bei denen es vorn und hinten nicht mehr reicht, immer größer wird und sie rasche und unbürokratische Soforthilfe benötigen.

Frau S. ist kein Einzelfall in Kärnten, denn jede 7. Frau in Kärnten ist von Armut betroffen.

Im reichen Österreich sollte eigentlich das soziale Netz dafür sorgen, dass Armut verhindert wird. Tatsächlich ist es für Frauen schwierig, die notwendigen Dienstzeiten für die vollen Pensionsansprüche vorzuweisen, aufgrund von Teilzeitstellen oder geringfügigen Beschäftigungen ist im Krankheitsfall oder bei Arbeitslosigkeit ebenfalls mit geringeren Unterstützungen aus dem Sozialversicherungssystem zu rechnen. Mehr als 40% der beschäftigten Frauen in Kärnten arbeiten Teilzeit. Das österreichische Sozialversicherungssystem orientiert sich jedoch ausschließlich an der männlichen Erwerbsbiographie von 40 Jahren Vollzeitbeschäftigung und benachteiligt dadurch Frauen systematisch. Den Frauen steht nicht nur während der Erwerbstätigkeit weniger Geld zur Verfügung, sie müssen auch im Alter mit Abschlägen auf die Pensionshöhe zurechtkommen.

Die klassischen Frauenberufe im Handel, Dienstleistungssektor oder in der Pflege sind schlechter bezahlt, bei Müttern fallen die Karenzzeiten aus der Anrechnung für Gehaltserhöhungen heraus, der Wiedereinstieg ist wegen fehlender und leistbarer Kinderbetreuungseinrichtungen schwierig. Petra H. (28) ist Kellnerin. Ihr Tag beginnt um 5:00 Uhr, wenn sie ihre Kinder weckt. Sie beginnt um 6:00 Uhr zu arbeiten. Bis zum Schulbeginn sitzen ihre beiden Söhne im Lokal und spielen mit ihren Gameboys. „Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich so einen Job habe.“

Die unregelmäßigen Arbeitszeiten auch im Handel sind eine zusätzliche Belastung für Frauen, die nur schwer mit der Kinderbetreuung vereinbar sind. „Gemeinsames Essen gibt es nicht. Während die Kinder frühstücken, mache ich mich fertig. Am schönsten sind die freien Tage. Da bekomme ich eine Vorstellung davon, wie es sein könnte wenn ich normale Arbeitszeiten hätte.“ beschreibt die Verkäuferin Sabrina G. (39) ihren Alltag.

Arbeit ist kein Schutz vor Armut.

Andrea M. ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Ihr stehen im Monat inklusive Alimenten 1.821 Euro zur Verfügung. Zieht sie alle Fixkosten für Miete, Energie, Versicherungen, öffentlichem Verkehr sowie Schul- und Kindergarten- bzw. Hortkosten ab, bleiben ihr noch 480,-- Euro. Damit kauft sie Essen und die Dinge des täglichen Bedarfs. Für Kleidung, Schuhe oder gar Geld für Hobbies oder Freizeitaktivitäten bleibt nichts übrig. Mit ihrem Einkommen hat sie keinen Anspruch auf Wohnbeihilfe, weil die Alimente in das Haushaltseinkommen einberechnet werden. „Das Geld soll ja eigentlich für die Kinder da sein, aber ich brauch es schon, um die Fixkosten zu bezahlen.“

Armut macht einsam

Armut wirkt sich auch auf die soziale und kulturelle Teilhabe aus. Die kostenpflichtigen Freizeitangebote wie Kino, Museen, Sportvereine oder auch einfach mit Freunden auf ein Getränk zu gehen, können von armutsbetroffenen Menschen nicht wahrgenommen werden. „Ich habe die fixe Idee, dass man mir ansieht, dass ich keinen Euro in der Tasche hab. Deshalb trau ich mich nicht mehr in die Stadt. Ausflüge oder ins Kino gehen kann ich sowieso vergessen.“ erzählt Gabi V. (27), die als Frisörin arbeitet.

Armut ist weiblich. Armut ist vererbbar. Bildung ist erblich.

Menschen aus armen Haushalten gelingt selten der soziale Aufstieg. Das beginnt schon damit, dass die Schulbildung hinten angestellt wird und der Fokus auf dem schnellen Ergreifen eines Berufs liegt. „Wir waren alle nicht dumm, aber wir haben alle Geld verdienen müssen. Es hat niemanden interessiert, was in der Schule los ist, was ich gelernt habe oder welche Noten ich hatte. Da ging es um wichtigere Dinge wie, woher kommt das Essen und so.“ schildert Lena A. (41) ihre Kindheit. Von Frauenarmut sind auch die Kinder der Frauen betroffen und Armut stellt immer noch einen gravierenden Nachteil dar, der kaum aufzuholen ist. Lena A.: „Ich habe immer davon geträumt Architektin zu werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es geschafft hätt - von der Intelligenz her, mein‘ ich. Leider hab‘ ich nie die Chance gehabt, das zu beweisen. Ich hab ja immer arbeiten müssen, um Geld zu verdienen.“

Angemessener Wohnraum ist nicht leistbar

Selbst eine Vollzeitstelle garantiert nicht, dass davon alle monatlichen Ausgaben ohne Verzug bezahlt werden können. Während die Löhne bei den unteren Einkommensschichten geringer wurden oder annährend gleich bleiben, wird das Leben immer teurer. Die Preise für Miete, Energie und Lebensmittel stiegen in den letzten Jahren in Relation zum verfügbaren Haushaltseinkommen drastisch an. Die Inflationsrate ist für einkommensschwache Haushalte seit 2008 gesamt um ein Viertel höher als für die obersten 10%.

Bezeichnend ist der Anstieg der Mieten in den letzten Jahren um durchschnittlich 1,20 Euro pro Quadratmeter. Auch die Teuerung der Energiekosten fällt bei einkommensschwachen Haushalten höher ins Gewicht. Armutsbetroffenheit bedeutet häufig, in schlecht isolierten und verschimmelten Mietwohnungen leben zu müssen. Das Begleichen der anfallenden Kosten wird zunehmend schwieriger und es wird versucht, so viel Energie wie möglich zu sparen. Silvia K. (41) klagt über Schimmelflecken in Bad und Küche, dennoch muss sie beim Heizen sparen: „Letztes Jahr hatte ich eine Stromnachzahlung von 400 Euro. Deshalb spare ich jetzt mehr. Obwohl dieser Winter so mild war, war ich andauernd krank.“ Energiearmut geht meistens mit Armut einher. Die Betroffenen geben aufgrund veralteter Elektrogeräte, schlechter Isolation oder desolater Bausubstanz überdurchschnittlich viel für Energie aus, auch wenn an allen Ecken und Enden versucht wird, Energie zu sparen.

 

Das Kärntner Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung macht es sich zur Aufgabe, soziale Missstände in Kärnten aufzuzeigen und publik zu machen sowie gemeinsam mit seinen rund 40 Mitgliedsorganisationen Forderungen an die zuständigen politisch Verantwortlichen zu stellen.