Projekt “Integrationsinitiative Familie” ausgezeichnet

(Dezember 2017)

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Der Sieglinde-Trannacher-Preis 2017 würdigt die Arbeit des Vereins Aspis
In der Volksküche Klagenfurt wurde am Montag, 11. Dezember 2017 der zweite Sieglinde-Trannacher-Würdigungspreis vergeben.
Die dreiköpfige Jury, bestehend aus Volkshilfe-Präsidentin Barbara Gross, Univ.-Prof. Dr. Peter Gstettner und Mag. Stefan Mauthner (Leiter Abteilung Soziales) wählte aus neun Einreichungen das Projekt “Integrationsinitiative Familie” des Vereins Aspis.

"Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." mit diesen Worten beschrieb Sieglinde Trannacher selbst ihr Engagement und den Einsatz für jene, die an den Rand einer Gesellschaft gedrängt werden. Für Menschen mit Armutserfahrungen, Menschen mit Behinderung und jene, die mit Ausgrenzungen aus verschiedenen Gründen konfrontiert sind, gegen das Vergessen und Verdrängen galt das Wirken von Sieglinde Trannacher.

Siegfried Stupnig, der den Sieglinde-Trannacher-Preis gemeinsam mit seiner Kollegin Natalia Russinova entgegen nahm, erinnert sich: "Sieglinde war nicht nur eine Frau der starken Worte, sondern auch der Taten. Wenn es darum ging, Missstände aufzuzeigen, ging sie voran und wir alle folgten ihr."

Das Projekt "Integrationsinitiative Familie" des Vereins Aspis setzt bei Familien an, die aufgrund ihrer Religion, ihrer Biografie Ausgrenzungen erleben und erlebt haben, traumatisiert und gekränkt sind. Die Bildung von "Parallelgesellschaften" sowie das Abgleiten in radikale Strömungen ist auch Folge der mangelhaften Integrationspolitik. Es fehlt an Anlaufstellen, wo Menschen sich hinwenden können und an Bezugspersonen, die negative Entwicklungen abfedern können.

"Integrationsinitiative Familie" setzt genau dort an und arbeitet gegen gesellschaftliche Rückzugstendenzen und gegen soziale Isolation. "Wir ermutigen die Menschen am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und arbeiten an den individuellen Stärken der begleiteten Personen. Durch tatkräftige Unterstützung aber auch durch kulturspezifische psychologische Beratungsgespräche wird das Selbstvertrauen der betreuten Menschen gestärkt. Im Zentrum unserer Arbeit steht auch die Vermittlung der "Werte" unserer Gesellschaft mit besonderer Beachtung der Gleichberechtigugn von Frauen sowie der gewaltfreien Erziehung der Kinder." heißt es im Einreichungstext.

Das Kärntner Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung schreibt gemeinsam mit der Volkshilfe Kärnten sowie dem SPÖ Klagenfurt Gemeinderatsklub den Sieglinde-Trannacher-Würdigungspreis aus, um ein Klagenfurter Projekt im Sozialbereich auszuzeichnen.

Wir bedanken uns recht herzlich bei allen Sponsoren:

M & R Bauholding

Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee

Technische Akademie Kärnten "Portal in die Zukunft"

ilab Crossmedia

Für die musikalische Umrahmung danken wir Michael Erian!

 

Laudation von Univ.-Prof. Dr. Peter Gstettner

Jurybegründung für das Siegerprojekt: Integrationsinitiative Familie

eingereicht von Siegfried Stupnik /ASPIS                                Peter Gstettner, 11.12.2017

 

Sehr geehrter Herr Vizebürgermeister, liebe Familienangehörige von Sieglinde Trannacher, liebe Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde von Sieglinde und Unterstützerinnen und Unterstützer des „Kärntner Netzwerkes gegen Armut und Ausgrenzung“!

Im Namen und im Auftrag der Jury[1] darf ich Sie über die Begründung für die Auswahl des Siegerprojektes informieren. Zuvor möchte ich mich beim „Kärntner Netzwerk gegen Armut und Ausgrenzung“, vertreten durch Monika Skazedonig und Heinz Pichler, für die Ausschreibung und die Abwicklung des Verfahrens, einschließlich der Organisation des heutigen Festaktes, ganz herzlich bedanken. 

Durch die kompetente Unterstützung konnte sich die Jury in relativ kurzer Zeit einen Überblick über die 9 eingereichten Projekte verschaffen. Bei einigen Projekten, die in die engere Auswahl kamen und bei denen sich der Kriterienkatalog als unzureichend erwies, fragten wir uns: Welchem Projekt hätte wohl Sieglinde Trannacher den Vorzug gegeben? In welchem Projekt hätte sie wohl gerne mitgearbeitet?

In diesen Momenten wurde die Jurysitzung auch zu einer Erinnerung an Sieglinde Trannacher. Und zu einer Reflexion auf Sieglindes Weg, den Menschen, die als Fremde und Hilfesuchende zu uns kommen, eine Orientierung zu geben und ihnen eine Stimme zu verleihen - und das alles mit dem Ziel, ihnen zu ihren fundamentalen Menschenrechten zu verhelfen.

Es wird ja immer schwieriger für die Projekte, diesen Weg nachzuvollziehen, da die an den Rand der Gesellschaft gedrängten Menschen kaum mehr staatliche Unterstützung bekommen, ohne schon vorher gewisse Bedingungen zu erfüllen. Die Schraube für die „Integration“ wird seitens der herrschenden Politik gewaltig angezogen. Die Instrumente für die Gewährung von staatlich geförderten Integrationshilfen werden zunehmend geschärft. Z. B. will man die „Integrationswilligkeit“ bei den  Hilfe- und Schutzsuchenden vorab erheben und sicherstellen. Dadurch erhofft man sich, die als „integrationsunwillig“ eingeschätzten Menschen vorzeitig von möglichen Förderleistungen fernhalten zu können. Ich vermute, die „Minderleister ohne Migrationshintergrund“ werden etwas später an der Reihe sein, und diesen dann die sog. Erwerbsunfähigen folgen, und diesen die armen und ausgesteuerten alten Menschen, diesen die körperlich und geistig beeinträchtigten Menschen usw. - Und im Handumdrehen haben wir den Sozialstaat soweit abgeschafft, dass das alte System wieder funktioniert und immer größere Gruppen von Menschen ausgesondert und als „überzählig“ an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Neu sind diese Trends wirklich nicht. Sieglinde Trannacher war schon mit diesen Entwicklungen konfrontiert, hat sie sich doch jahrzehntelang professionell mit Armut, Alter und Ausgrenzung beschäftigt und dagegen angekämpft. Dieses ihr Engagement hat heute an Aktualität und Dringlichkeit noch dazu gewonnen. Das konnten wir allen eigereichten Projekten anmerken, vor allem am politischen Realitätsbezug jener Projekte, mit denen wir es zu tun haben: Diese Projekte wissen um die populistische Schlagseite der heutigen Politik und halten gerade deshalb daran fest, dass die Integrationsdefizite nicht der mangelnden „Integrationswilligkeit“ der Flüchtlinge und Migranten zuzuschreiben sind, sondern an der Unwilligkeit oder Unfähigkeit der herrschenden Politik, diesen Menschen passende Integrationsangebote zu machen. Wenn man nämlich die asylsuchenden Menschen vorneweg als „kulturfremde“ und „arbeitsscheue Sozialschmarotzer“ einschätzt, darf man sich nicht darüber wundern, wenn sich diese Menschen mit ihren Bedürfnissen allein gelassen fühlen und sich in sog. Parallelgesellschaften zurückziehen. Sie igeln sich in ihren traumatischen Erfahrungen ein und können die Integrationsangebote, die ihnen die Politik macht, gar nicht als solche wahrnehmen.

Niederschwellige Projekte, wie sie der Jury in der Mehrzahl vorlagen, setzen daher auf eine aufsuchende Strategie: Sie suchen ihre Adressaten dort auf, wo sie sich gerade befinden. Das gelingt oft nicht im ersten Anlauf, weil zunächst ein gewisses Vertrauen von Mensch zu Mensch aufgebaut werden muss. Und dazu eignen sich oft zunächst andere, nicht-sprachlich vermittelte gemeinsame Aktivitäten.

Und damit bin ich auch schon bei dem Projekt, dem die Jury den ersten Preis zugesprochen hat: Es ist das Projekt INTEGRATIONSINITIATIVE FAMILIE des Vereins ASPIS. Der Initiator, die „Seele des Projekts“, ist Mag. Siegfried Stupnik.

Zur Vorgeschichte des Projekts eine kurze Information: ASPIS ist ein Forschungs- und Beratungszentrum für Opfer von Gewalt, das unter der Leitung von Kollegen Prof. Klaus Ottomeyer vor 20 Jahren an der Universität Klagenfurt gegründet wurde und seither als gemeinnütziger Verein besteht, der sich die psychologische Betreuung von Flüchtlingen in Kärnten zur Hauptaufgabe gemacht hat. Siegfried Stupnik hat sich in diesem Rahmen mehr und mehr mit den praktischen Fragen der Integration auseinandergesetzt. Er gründete einen Fußballclub mit Flüchtlingen aus Tschetschenien und organisierte Fußballturniere. Das war eine Aktion mit großer Nachhaltigkeit. Nicht nur, dass der Fußballclub heute noch besteht, er blüht und gedeiht in einer erweiterten Form: Flüchtlinge aus mehreren Ländern spielen heute als „FC International“ unter einem Trainer, der in seiner Heimat ein sehr bekannter Fußballstar war, bis er selbst aus Tschetschenien fliehen musste.

Einerlei ob dieser Fußballclub ein Spiel gewinnt oder nicht, ein vorbildliches Integrationsmodell ist dieses Projekt allemal, hatte doch der damalige Landeshauptmann von Kärnten Jörg Haider propagiert: Kärnten muss tschetschenenfrei werden! Diese populistische und menschenverachtende Ansage ist fast auf den Tag genau 10 Jahre alt. Und bitte glauben Sie nicht, dass ich von längst vergangenen Zeiten spreche - obwohl wir heute sagen können: Das war eine „Fehlanzeige“, Gott sei Dank. Dank vor allem an Siegfried Stupnik und an alle Menschen mit Zivilcourage, die sich damals mit seinem Integrationsanliegen solidarisiert haben - und Sieglinde Trannacher gehörte natürlich zu ihnen. Sie haben dem Willen des Landesherrn erfolgreich ihren Widerstand entgegengesetzt und den guten Ruf von Kärnten als ein offenes und menschenfreundliches Land gerettet. Solche Projekte und Aktionen können nämlich zeigen, dass und wie man die Worthülse „Willkommenskultur“ mit konkreten Initiativen füllen kann und was man machen muss, damit dieser Begriff Leben bekommt bzw. gelebte Wirklichkeit wird.

Das Projekt INTEGRATIONSINITIATIVE FAMILIE, das heute ausgezeichnet wird, startet also mit berechtigten Vorschusslorbeeren an Siegfried Stupnik und seine MitarbeiterInnen, unter ihnen ist auch Frau Natalia Russinova, die ich ebenfalls ganz herzlich begrüße.  Anhand dieses Projektes wird sich zeigen, in welchem komplexen Problemfeld Flüchtlingsfamilien versuchen, bei uns Fuß zu fassen, und wie ihnen dabei geholfen werden kann. Wir haben keine Zweifel daran, dass Siegfried Stupnik vor dem Hintergrund der bei ASPIS gesammelten Erfahrungen das Projekt an seine Ziele heranführen wird. Ich zitiere aus der Projektbeschreibung von S. Stupnik:  

„Wir ermutigen die Menschen, am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, und arbeiten an den individuellen Stärken der begleitenden Personen. Durch tatkräftige Unterstützung, aber auch durch kulturspezifische psychologische Beratungsgespräche wird das Selbstvertrauen der betreuten Menschen gestärkt. Im Zentrum unserer Arbeit steht auch die Vermittlung der „Werte“ unserer Gesellschaft, mit besonderer Beachtung der Gleichberechtigung von Frauen sowie der gewaltfreien Erziehung der Kinder.“

Die Jury gratuliert dem Preisträgerprojekt und wünscht ihm viel Erfolg und Glück bei der Umsetzung des Vorhabens „Integrationsinitiative Familie“! 

 

[1] Barbara Gross, Präsidentin der Volkshilfe Steiermark, Stefan Mauthner, Leiter des Sozialamtes der Stadt Klagenfurt und Peter Gstettner als Obmann des Mauthausen Komitees Kärnten/Koroska).

Fotocredits: Wolfgang Burgstaller